„Keine Vorträge von Experten“

Ralf Grötker, verantwortlich für die Konzeption und die Realisierung des Beteiligungsprozesses "Bürgerdelphi Keimbahntherapie", über Inhalte und Methoden des Projekts. Fragen: Theresa Jentsch.

Sie laden im Rahmen des Forschungsprojektes „Bürgerdelphi Keimbahntherapie“ (BueDeKa) am 28. April 30 interessierte Bürgerinnen und Bürger zu einem Workshop zum Thema „Keimbahntherapie“ ein. Warum ist das Thema „Keimbahntherapie“ von öffentlichem Interesse?

Die Keimbahntherapie ist ein gentechnischer Eingriff, der nicht nur ein einzelnes Individuum betrifft, sondern auch nachfolgende Generationen. Man verbindet damit einerseits die große Hoffnung, genetische Veranlagungen für Krankheiten, die durch einen Defekt in einem einzelnen Gen hervorgerufen werden, wie zum Beispiel Huntington, bereits im Embryonalstadium korrigieren zu können. Andererseits sind die Folgen für den unmittelbar betroffenen Patienten und auch für nachfolgende Generationen nicht hundertprozentig abschätzbar. Dieses ethisch-medizinische Risiko gilt es abzuwägen. Außerdem gibt es die Befürchtung, dass die Keimbahntherapie als Instrument für die Optimierung von Nachkommen genutzt werden könnte. Hier ist oft die Rede vom sogenannten Designerbaby. Ein weiteres Bedenken ist hier, dass eine solche Technologie aufgrund der damit verbundenen Kosten nur für bestimmte Menschen zugänglich sein wird. So würde sich die soziale Spaltung um eine biologische Dimension erweitern. Umfassende gesetzliche Regelungen für die Keimbahntherapie stehen noch aus. Unser Bürgerdelphi verfolgt den Zweck, mit Blick auf kommende gesetzliche Regulierungen eine gesellschaftliche Debatte zu eröffnen.

Wie weit sind Forschung und Medizin heute, was die Keimbahntherapie beim Menschen betrifft?

Im vergangenen Sommer veröffentlichte der amerikanische Biologe Shoukrat Mitalipov eine Forschungsarbeit, bei der er Embryonen durch Befruchtung im Reagenzglas produziert und dabei einen Eingriff in die Keimbahn vorgenommen hatte. Die verwendeten Eizellen Spermien hatten eine genetische Veranlagung für eine Herzmuskelschwäche. Während der Befruchtung der Eizellen durch die Spermien wurde parallel versucht, den Gendefekt zu korrigieren. Als Resultat wiesen nur noch 30 Prozent der so entstandenen Embryonen die Veranlagung zur Herzmuskelschwäche auf – und nicht 50 Prozent, wie ohne den Eingriff zu erwarten gewesen wäre. Das Besondere an dem Experiment war außerdem, dass so gut wie keine signifikanten Nebenwirkungen aufgetreten waren. Mitalipov hat somit gezeigt, dass die Keimbahntherapie in einem frühen Embryonalstadium möglicherweise ohne große Risiken durchführbar ist. Die Studie hat aber auch gezeigt, dass der gentechnische Eingriff nur manchmal den erwünschten Erfolg hatte.

Aber ist dieses Verfahren denn bereits erlaubt?

Forschungsexperimente wie das Mitalipov sind beispielsweise in den USA, aber auch in China durchaus erlaubt. Für klinische Studien, bei denen es zum Austragen von Embryonen mit veränderter Keimbahn käme, gibt es aber auch dort noch keine Regelungen. In Deutschland steht der Keimbahntherapie der Embryonenschutz entgegen sowie ein Verbot, in der Pränatalmedizin Veränderungen an der Keimbahn vorzunehmen. Großbritannien hat als einziges Land in Europa bereits 2015 eine spezielle Form der Keimbahntherapie explizit gestattet: den sogenannten Mitochondrientransfer, Hier wird ein Teil der Eizelle durch Elemente einer fremden Eizelle ersetzt, sodass das auf diese Weise entstehende Kind biologisch gesehen zwei Mütter hat. Diese Form des Eingriffes ist bereits in klinischen Versuchen getestet worden.

Eignet sich ein vergleichsweise komplexes Thema wie die Keimbahntherapie überhaupt für eine Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern?

Klassische Themen für Bürgerbeteiligungen sind eher alltagsnahe Fragestellungen wie beispielsweise die Gestaltung einer Parkanlage. Dennoch wäre es gesellschaftlich wünschenswert, Bürgerinnen und Bürger auch stärker in Entscheidungen über komplexe Fragen einzubinden. Das Verfahren, das wir in unserem Projekt anwenden und gleichzeitig testen und evaluieren, soll Teilnehmende in den Stand setzen, sich ein informiertes Urteil bilden zu können, ohne selbst eine Expertin oder ein Experte sein zu müssen. Natürlich betrifft das nicht alle Aspekte des Themas. Juristische Fragen etwa werden Laien kaum beantworten können. Doch wenn es um das Abwägen verschiedener Argumente geht und das Gewichten von Beurteilungskriterien, glauben wir, dass Bürgerinnen und Bürger hierzu ebenso gut in der Lage sind wie Experten und Expertinnen. Oftmals sind für Entscheidungen thesenförmig vorgebrachte Argumente nicht besonders eindrucksvoll. Erst durch die nähere Beschäftigung mit Fallbeispielen entsteht ausreichend Empathie, um einen bestimmten Aspekt in seiner Bedeutung zu erfassen. Auch in solchen Situationen können Bürgerinnen und Bürger ein ebenso gut begründetes Urteil fällen wie Fachleute.

Was zeichnet die Methode aus, die Sie verwenden?

Unser Bürgerdelphi macht Anleihen bei zwei bekannten und etablierten Formaten der Beteiligung: dem sogenannten Bürgergutachten und der Delphi Studie. Das Workshop-Format, das wir bei der Auftaktveranstaltung am 28. April einsetzen, wird in ähnlicher Form auch bei Bürgergutachten verwendet. Anders als bei einem Bürgergutachten üblich, wird es bei unserem Workshop aber keine ausführlichen Vorträge von Experten und Expertinnen geben, die in das Thema einführen. Im Workshop werden sich die Teilnehmenden selbst überlegen, welche Informationen sie benötigen, um sich eine Meinung zum Thema Keimbahntherapie zu bilden. Beim Bürgergutachten kommenden die Teilnehmenden normalerweise an zwei aufeinanderfolgenden Tagen zu einem Workshop zusammen und präsentieren am Ende ihre Ergebnisse. Bei uns schließt sich an den eintägigen Workshop stattdessen eine mehrwöchige Phase an, in der wir mit einer Methode arbeiten, die an das Format einer Delphi-Studie angelehnt ist. In klassischen Delphi-Studien bearbeitet ein Team aus geladenen Expertinnen und Experten in mehreren Runden eine vorgegebene Fragestellung. Resultate aus früheren Fragerunden fließen in spätere Runden mit ein. Das klassische Delphi arbeitet dabei mit dem Instrument der schriftlichen Befragung. Bei Buedeka führen wir mit unseren teilnehmenden Bürgerinnen und Bürgern ein interaktives Delphi durch. Dabei ersetzen telefonische Interviews die Fragebögen. Auf einer internen Webseite können sich die Teilnehmenden zusätzlich über die Resultate austauschen.

Dann haben wir noch ein drittes Instrument: unsere Debatteure. Zwei Journalisten übernehmen die Aufgabe, als Vorlage für die Telefoninterviews Pro- und Kontra-Stellungnahmen zu verfassen. Die Teilnehmenden kommentieren und bewerten diese Stellungnahmen. Außerdem können sie Nachfragen an die Debatteure richten und Rechercheaufträge vergeben. Auf diese Weise wollen wir die Arbeitsbelastung für die Teilnehmenden verringern und gleichzeitig ermöglichen, im Ergebnis mehr ins Detail zu gehen. Auch in Bezug auf die Debatteure unterscheidet sich unser Bürgerdelphi von klassischen Formaten eines Bürgergutachtens, bei denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach der Instruktion durch Expertinnen und Experten weitgehend autonom agieren.

Was wird das Ergebnis des Prozesses sein?

Im Herbst 2018 wird ein Ergebnisbericht vorliegen. Darin werden die Meinungen und Wünsche der Bürgerinnen und Bürger zusammengefasst. Ein Konsens muss nicht zwingend erreicht werden. Idealerweise enthält der Bericht konkrete Empfehlungen für Politik und Gesetzgebung. In jedem Fall artikuliert er die Sorgen und Wünsche der Teilnehmenden. Selbstverständlich werden wir die Resultate öffentlich präsentieren und sie auch politischen Entscheidungsträgern vorstellen.

Wie weit ist das Projekt aktuell fortgeschritten?

Bereits im Februar haben wir die Anwerbung der Teilnehmenden abgeschlossen. Außerdem haben wir ein Konzept für die Begleitforschung entwickelt und zwei studentische Hilfskräfte mit an Bord genommen, die uns in der Begleitforschung und in der Außenkommunikation unterstützen. Dann haben wir in einem Seminar mit Studierenden am Karlsruher Institut für Technologie bereits einige Formate für den Workshop am 28. April ausgetestet, aber auch Techniken für die Interviewführung und Begleitforschungsmethoden. Gelernt haben wir dabei, dass unser Ansatz, mit nur wenig Informationen in den Prozess zu starten und den Teilnehmenden die Auswahl von Themenfeldern mehr oder weniger selbst zu überlassen, auch zu Überraschungen führen kann. Aber solche Überraschungen machen andererseits ja auch gerade den Reiz des Projekts aus. Wir sind deshalb sehr gespannt auf den Workshop am 28. April, den wir gerade intensiv vorbereiten.